Klopf, klopf.

Hm, wer mag da wohl an meine Türe klopfen? Besuch erwarte ich eigentlich nicht.

Kurzer Blick durch den Türspäher.

Angstschweiss und Herzrasen setzen ein. Die Nackenhaare stehen zu Berge. Schwindelgefühle.

Scheisse, verfluchte. Das Drecks-Sömmerchen steht vor der Türe mit einem hämischen Grinsen in der grellen pulsierenden Fratze.

Ist es schon wieder soweit? Das kann ja nicht sein. Kurzer Blick auf den Kalender: Doch, Ende Mai.

Schnell die Eingangskommode vor die Haustüre schieben und gleich noch die Waschmaschine hinterher. Alles verbarrikadieren. Und den Pfefferspray griffbereit. Sicher ist sicher.

«Niemand zuhause! Geh weg!» rufe ich mit schriller Stimme in der illusionären Hoffnung dass sich das Sömmerchen doch noch verzieht.

Aber es ist nicht sicher und es nützt nichts. Auch der mit Knoblauch eingeriebene Türrahmen und sonstiger Voodoo-Kram nützt nichts. Es nützt nie etwas, denn es ist wieder mal so weit.

Die unerträglichste, antriebsloseste, sinnloseste und maximal treibhausgasgesteigerte Jahreszeit beginnt wieder. Die Zeit des beschissenen Sömmerchens. Die Zeit von Hitze, Dürre, Tropennächten, Wüstentagen, horrenden Taupunkten und unendlichem Plasmageballer vom blankgeputzten Himmel steht wieder an. Die Zeit der Massenaktivierung und Gleischschaltung aller Sofeten der Nordhemisphäre. Die Zeit in der Radiosender zu öffentlichen Tempeln des Sofetengötzen mutieren und Lemmingen gleich bevorstehende tödliche Hitzewalzen als Schönwetter, das man unbedingt geniessen sollte, demonstrativ bildungsfern durch den Äther blöken. Die Zeit des Wartens auf Oktober.

Denn das Sömmerchen lässt sich nie aufhalten und scharrt schon mit den Hufen.

Früher trat das Sömmerchen noch gemässigt auf und verdiente diese Bezeichnung infolge eines stabilen Jetstreams. Aber das Sömmerchen von früher hat rein gar nichts mehr mit früheren Zeiten zu tun. Denn es mutiert seit zehn Jahren regelmässig zu einem mitteleuropäischen Albtraum, mit einem im Sommer nochmals deutlich stärker mäandrierendem Jetstream (infolge fortschreitender anthropogen forcierter Arktischer Amplifikation), der über Europa ausfranst durch die immer länger anhaltenden Zustände der Double Jets welche die Randbedingungen für die quasi-resonante Amplifikation mit 6er oder 7er Rossbywellenmuster bilden und damit die nordhemisphärische Zirkulation für Wochen blockieren und ortsfest verharren lassen.

Obwohl dies die groben Rahmenbedingungen des neuen abnormalen europäischen Sömmerchens sind ist nicht jedes Sömmerchen gleich und mehr oder weniger extreme Varianten treten auf. Befanden wir uns vor einem Jahr noch im Aufbau eines El Nino so befinden wir uns jetzt in der fast schon neutralen Phase von ENSO und im Herbst dürften wir uns in der Phase von La Nina befinden.

Wie alle Jahre wieder stellt sich die bange Frage was uns das Sömmerchen wohl dieses Jahr bringen wird. Ganz genau werden wir es zwar nicht wissen aber wir dürfen getrost davon ausgehen dass es aus seinem flammend-pulsierenden Säckchen wieder die abnormal normalen Standarddinge auspacken wird.

Hm, also mal schauen. Einige Grosswetterlagenexemplare mit den ganz kranken blockierenden Geopotentialverformungen über Europa liegen ganz oben. Klar doch. Und etwas weiter unten im Säckchen sind ja auch noch die Spanish Plumes – angetrieben durch stationäre Tiefs auf dem rekord-heissen Atlantik – versteckt und die dürfen natürlich auch nicht fehlen. Nee, das Sömmerchen denkt an alles. Ehrensache. Bis jetzt also das normale abnormale Standard-Repertoire. Und was ist mit Kaltluftropfen welche potentielle Hochdruckbollwerke vor allem im Juli und August unterlaufen können und uns – wenn günstig gelegen – für kurze Zeit Linderung verschaffen? Was mit vereinzelten Erlösungs-Trögen wie im Juli 2023? Das wäre mit Glück durchaus möglich aber wer weiss schon was wirklich in den Tiefen dieses kranken Säckchen verborgen ist?

Verglichen mit den letzten Jahren sind wir in diesem Spätfrühling – zumindest im Westen (der Osten ist ein anderes Kapitel) – doch einigermassen glimpflich davon gekommen wie der Vergleich des Dürremonitors zeigt:



(c) www.ufz.de

Dies weil sich die Höhentiefs im April und Mai mehrheitlich nicht so weit draussen auf dem Atlantik befanden sondern öfters über Europa hinwegzogen oder - wenn schon fast stationär – sich bei den Britischen Inseln oder Westfrankreich aufhielten und häufig zonal statt meridional ausgerichtet waren und die grobe Frühlingshitze an uns vorbei trieben. Klar, da gab’s auch die berüchtigten Wochenend-Südlagen mit Saharastaub und Extremföhnereignissen aber am Massstab der neuen Klimanorm gemessen war das eigentlich fast schon normal.

Und im Vergleich zu den letzten Jahren zeigen die Modelle für den Spätfrühling in den hohen Breiten Hochdruck nicht nur in der Troposphäre sondern auch in der Stratosphäre.


https://www.aer.com/science-research/cli...ic-oscillation/

Dies ist umso bemerkenswerter als dass wir in den letzten Jahren im Spätfrühling oftmals polaren Tiefdruck und Hochdruck in den mittleren Breiten hatten und damit schon die eintretende Spätfrühlingshitze ertragen mussten. J Cohen fragt sich ob das noch komplexe Spätfolgen des Final Warmings von Anfang Mai sind. Für den Sommeranfang wäre polarer Hochdruck grob betrachtet das bessere Szenario weil damit auch Optionen mit Tiefdruck in den mittleren Breiten möglich wären. Allerdings bliebe auch dann der Grat noch ziemlich schmal denn mit Tiefdruck in den mittleren Breiten lauern ständig die Szenarien eines Tiefdruckkomplexes auf dem Atlantik welcher die Sahara-Hitze zu uns schaufelt. Andererseits kämen dann auch wieder abtropfende Höhentiefs auf den Schirm welche uns – mit viel Glück und richtig gelegen – Linderung und eine Verschnaufspause während des Sömmerchens bringen könnten.

Kommen wir zu den saisonalen Modellen und deren Prognosen für das Vorzeichen des Sommers. Das nicht mehr ganz taufrische Mai-Update von ECMWF für den Sommer zeigte uns drei zentrierte Tiefs um das polare Hoch und drei/vier Hochdruckzentren in den mittleren Breiten was bei uns auf einen zu warmen Sommer hinauslaufen dürfte mit unauffälligen mitteleuropäischen Niederschlagssignalen. Wobei sich der Hitzehotspot auf den Südosten Europas konzentrieren könnte. Das Auffällige an dieser Prognose ist aber dass in einer Mai-Prognose des ECMWF-Modells für den Sommer bislang noch nie positive 500hPa-Geopotentialanomlien für praktisch die gesamte Nordhalbkugel prognostiziert wurden. Und Ähnliches gilt auch für die T850hPa-Anomalien: Frühling 2024: Wieder mal zu warm (5)

Die Aussage des «zu warmen» Sommers in Mitteleuropa ist aber etwas trügerisch denn M Rantanen hat diese Sommerprognose von ECMWF etwas genauer angeschaut und mit den vergangenen Prognosen von ECMWF für Europa verglichen und die lässt doch etwas aufhorchen

Dazu hat er seit 2017 für jedes Jahr eine statistische Verteilung aller 51 ECMWF-Ensembles für Europa berechnet. Orange ist der Median, die roten Kreuze sind die europäische Mitteltemperatur was dann schlussendlich eintrat und die Punkte sind prognostizierte Extremwerte nach oben und nach unten. Die rote Linie zeigt den heissesten Sommer in Europa an und wurde 2022 gemessen. Und der bleibt auch unvergessen.


(c) M Rantanen, https://x.com/mikarantane/status/1787802604719763519

Und wir sehen nun dass der Median der Prognosen kontinuierlich steigt – was auch nicht anders zu erwarten ist denn die Prognosen der Klimamodelle aufgrund des menschenverursachten Treibhausgasausstosses zeigen ebenfalls unaufhörlich nach oben. Leichte Variationen nach oben und unten treten natürlich auf aber der Trend zeigt nach oben. Schlussendlich eingetroffen sind praktisch immer viel höhere Temperaturen (rotes Kreuz) als im Mittel/Median prognostiziert wurde und nicht selten im Bereich der oberen Extremwerte der Ensembles. Für 2024 liegt der Median in etwa beim prognostizierten Mittel von 2022 aber die Streuweite für 2024 hat deutlich noch oben zugelegt. 2024 ist jetzt auch das erste Mal, seit es die saisonalen ECMWF-Prognosen gibt, dass das Modell keine Chance mehr auf einen Sommer der Klimanorm 1993-2016 sieht; von einem Kühlsommer wie 1987 oder so ganz zu schweigen. Keine Chance unter den neuen klimatischen Randbedingungen sagt die Modellphysik.

Dass der Median für 2024 im «Verteilungskasten» am unteren Ende liegt legt zudem nahe dass es ziemlich viele positive Extremwert-Lösungen gibt (8 an der Zahl von 51). Interessant ist auch Ensemble-Member 48 (roter Kreis) denn diese absolut schizophrenste Worst-Case-Simulation mit +2.5 Grad zeigt physikalisch was in einem treibhausgasgesteigerten Sommer absolut möglich wäre: Einen August 2003 der aber einen ganzen Albtraum-Omega-Sommer lang anhalten würde einem Black-Swan-Ereignis gleich. Aber wie gesagt, das ist der wirklich kranke Outlier und nicht die Prognose, wird aber mit jedem Jahr immer ein klein wenig wahrscheinlicher.


(c) M Rantanen, https://x.com/mikarantane/status/1787802604719763519

Die etwas beruhigenderen erscheinenden weil gemittelten Langfristkarten des DWD (links), ECMWF (Mitte) und UKMO (rechts) für Juni zeigen deren doch leicht unterschiedliche Ideen für Juni. Das deutlichste Signal mit polarem Hochdruck und fast schon einzigartig abnormaler Ausprägung einer N-hemisphärischen Blocke zeigt UKMO, dafür aber gleichzeitig auch einen Juni-Trog über den Britischen Inseln einer Oase der Fruchtbarkeit in einer unendlich scheinenden Wüste endlosen Hochdrucks gleich und folglich etwas «gedämpften» Juni-Temperaturen in Westeuropa. Ähnliches sieht auch der DWD und platziert den wunderbaren Kühltrog gleich mal über Mitteleuropa. Dem steht jedoch ECMWF diametral entgegen und tendiert für Juni eher zu einer Hochdruckbrücke zwischen den Britischen Inseln und Skandinavien mit entsprechend höheren T-Abweichungen bei uns; einer Grosswetterlage ähnlich dem ostwinddominierten und staubtrockenen Juni 2023 währenddem die Tiefdruckaktivität im Mittelmeerraum kaum mehr aufhören wollte. Oder gibt es doch noch einen Game-Changer wie letztes Jahr als die Modelle das persistente Hochdruck-Bollwerk über den Britischen Inseln nicht auf dem Schirm hatten?



(c) copernicus.eu, 500hPa Abweichungen oben und T850-Abweichungen unten

Der aktualisiertere Ausblick bis und mit Mitte Juni gemäss dem 46-Tage-ECMWF würde nun aber eher etwas Richtung Juni-Muster des DWD und UKMO tendieren: Trog über Nordeuropa mit einem Hoch über Südeuropa (links) und demzufolge Westeuropa tendentiell «kühler» (oder weniger warm) und Richtung Osten zunehmend heisser. Danach wird’s naturgemäss diffus denn das mit den 3-Wochen-Prognosen im europäischen Sommer mit blockierter meridionaler Zirkulation ist halt immer so eine Sache und vieles ab Prognosewoche 3 sowieso im Rauschen der Ensembles verschwindet. Trotzdem sei der Vollständigkeit halber noch erwähnt dass die roten Temperaturfarben in der zweiten Junihälfte westwärts kriechen sollten weil das Modell ein Hoch über Osteuropa sieht. Aber vorerst sieht es wahrscheinlich nicht nach der Skandihoch-Juni-Variante von ECMWF aus.


(c) ECMWF

Die Ensembles von ECMWF (links) und GEFS (rechts) haben für nächstes Wochenende zwar immer noch den europäischen Trog im Programm, allerdings aber auch immer mehr Anzeichen in der Glaskugel dafür dass nach dessen Durchzug das Azorenhoch aufkeilt und die Brücke zum osteuropäischen Hoch schlägt währenddem sich Tiefdruck westlich von Spanien bilden könnte. Das klassische Sommermuster halt. Ehrensache.


(c) tropicaltidbits.com

Die Karten für Juli und August schenken wir uns vorerst aber man kann sich ja vorstellen was dann kommt wenn sich der troposphärische Polarwirbel weit nach Norden zurückzieht und schwach ausgebildet ist und das subtropische Hoch ohne richtigen Gegenspieler nordwärts stossen kann. Dann muss auf abtropfende Höhentiefs gehofft werden, welche den Hochdruck unterlaufen können, sich für uns günstig positionieren, kurzzeitige Linderung verschaffen und die Leidenszeit bis Ende September verkürzen. Wobei wir letztes Jahr ja miterlebten wie lange sich das Treibhausgashalbjahr hinziehen kann.

Man darf gespannt sein welche normal abnormalen Schweinereien das Sömmerchen aus seinem Säckchen zieht und wie oft und lange wir uns dieses Jahr wieder damit herumschlagen müssen. Die grossen Hitzewellen und Temperaturrekorde werden auch diesmal wieder kommen, so wie jeden Sommer, aber mit etwas Glück müssten auch ab und zu abnormal normale Wetterlagen dabei sein.

Sie hat also wieder begonnen, die unendlich lange Zeit des Wartens auf den erstarkenden und hoffentlich Erlösung bringenden Polarwirbel irgendwann im Oktober. Sie wird beschissen sein wie viele der letzten Sommer zuvor aber auch diese Zeit wird vorüber gehen.

Noch 25 Tage bis zur Plasmawende. Möge der Sommer gnädig zu uns sein ;-)

Das Sommerkapitel ist eröffnet

Zitat von Kyoudai Ken im Beitrag #8

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Der VB-Trog klammert den Nordwesten komplett aus. Ich hoffe, dass wir dennoch ab und an Regen bekommen, damit hier nichts austrocknen kann...

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